Hinweis: Dieser Beitrag wurde erstmals im Januar 2020 veröffentlicht und zuletzt im Oktober 2021 aktualisiert und ergänzt.
Heute war es wieder so: ich war verletzt, fühlte mich nicht gesehen. Wenn so was passiert, wünsche ich mir, dass es schnell vorbeigeht, so schnell wie irgendmöglich. In letzter Zeit fällt mir das mehr auf, weil ich mich immer öfter aus der Verstrickung in meine Gedanken oder Gefühle lösen kann. Aber das allein ist zu wenig. Auch wenn mir bewusst ist, dass ich einen Schmerz fühle – was mache ich jetzt damit?
Ich möchte lernen, gelassener zu werden. Mein „Innenleben“ zu akzeptieren und das, was ist. Es geht darum, Angst, Zorn, Trauer und Schmerz nicht zu ignorieren versuchen, sondern mich ihnen und auch den Realitäten zuzuwenden.
Gedanken und Gefühle akzeptieren
Die Hoffnung dahinter ist: wenn ich meine schwierigen Gedanken und Gefühle wahrnehme, sie beobachte und beschreibe, entsteht eine neue Beziehung zu ihnen. Ich kann mein Verhalten dann leichter an meinen persönlichen Werten ausrichten, auch wenn dieser Schmerz da ist.
Akzeptanz hilft uns, unsere Arme weit auszubreiten und das sogenannte Schlechte mit dem sogenannten Guten zu empfangen. So öffnen wir unsere Fähigkeit zu fühlen, zu spüren und uns zu erinnern. Wir lernen, gut zu FÜHLEN, anstatt nur GUT zu fühlen.
Steven Hayes
Mein Gehirn versucht , wie jedes brave menschliche Gehirn, schlechte Erfahrungen zu verhindern und mich möglichst unverwundbar zu machen. Gefühle wollen vor allem für ein sicheres und möglichst angenehmes Umfeld sorgen. Sie sind nicht wahr, sondern drücken unsere bewussten und unbewussten Annahmen aus. Mehr darüber erfährst du in meinem Blogartikel „Was wir über unsere Gefühle wissen sollten“.
Weil ich aber weiß und wieder und wieder leidvoll erfahren habe, dass das bei inneren Verletzungen kein guter Weg ist, mache ich eine Übung von Steven Hayes:
Tipps aus dem Mentalen Training für den Umgang mit Schmerz
Schmerzendes wahrnehmen und sich liebevoll darum kümmern
Ich versenke mich eine Weile (Steven Hayes schlägt mindestens eine Minute vor) in eine der folgenden Vorstellungen:

- ich betrachte meinen Schmerz so, wie ich ein wertvolles Kunstwerk betrachten würde
- ich umarme und halte die verletzte Stelle meines Körpers, wie ich ein weinendes Kind umarmen würde. So wandere ich im Raum herum, erlaube mir Selbstmitgefühl
- ich atme in die schmerzende Stelle und atme gleichzeitig meine Erfahrung ein wie einen tiefen Atemzug
- ich trage meine Wunden und Narben bei mir wie ein Bild in meinem Portemonnaie
Einen ähnlichen Prozess empfehleniehlt Thich Nhat Hanh (2). Selbstmitgefühl ist eine Grundlage von Heilung und Resilienz, der Fähigkeit wieder aufzustehen, wenn wir am Boden sind.
Auf dieser Basis kann ich dann meine Sichtweise erweitern, über das Gefühl der Verletzung hinaus die Wahrnehmung vertiefen.
Akzeptieren was ist und loslassen
Das ist der Augenblick, um die Aufmerksamkeit auf unsere Mitwelt gehen zu lassen. Ich frage mich:
1. Wen kenne ich, der eine ähnliche Erfahrung gemacht hat?
Gab es jemanden in meiner Familie , die oder der sich mit etwas Ähnlichem wie dieser Verletzung herumgeschlagen hat? Auch meine Eltern waren Kinder und mussten schwierige Situationen bewältigen. Vielleicht kenne ich auch jemand anderen, die das erlebt hat oder ich habe davon gehört. Wenn ja, kann ich mir diese Erinnerung ins Bewusstsein bringen um ihre Erfahrungen mit Mitgefühl zu betrachten? Das holt mich aus der Fixierung auf mein eigenes Leid.
2. Gibt es einen Gedanken, der mit dieser Verletzung verbunden ist?
Für mich ist es im Moment der Gedanke „immer werde ich alleingelassen“. Ich nehme diesen Gedanken wahr und akzeptiere, dass er da ist. Ich denke daran, dass es nur ein Gedanke ist, den ich hinterfragen kann.
Ist es ein altvertrauter, immer wieder aufpoppender Gedanke, setze mich nicht mehr inhaltlich damit auseinander, lasse jedes Gefühl des Kampfes damit fallen. Es ist einfach ein altes Muster. Dann geht es darum, dieses Muster mit Selbstmitgefühl wahrzunehmen ohne sich als Person damit zu identifizieren.
3. Welches Bedürfnis oder welche Sehnsucht ist mit dieser Verletzung verbunden
Auf was in meinem Herzen deutet dieser Schmerz und meine damit verbundenen Kämpfe hin? Was sagt diese innere Wunde über meine Werte und Schwachstellen aus? Sie berichtet von meiner Sehnsucht nach authentischer Verbundenheit, nach geliebt werden, wie ich bin. Ich nehme mir die Zeit, genauer hinzuspüren. Was schlägt mein Herz vor zu dem, was ich mir wünsche? Indem ich der Sehnsucht nach Geliebtwerden Raum gebe, werden auch die Bedürfnisse meines Partners fühlbar für mich, ich kann sie liebevoll ansehen.
Die Geschichte zu meiner Verletzung
Ich stelle mir vor, ich sehe den Helden in einem Roman oder Film in einer ähnlichen Situation. Wie könnte der Held diese Erfahrung nutzen, um dadurch weiser oder lebendiger zu werden? Ich schaue als entferntes und weiseres Selbst einfach freundlich zu, um zu entdecken, was in diesem Erlebnis sein könnte, das ihm und damit auch mir auf meinem Weg helfen würde? Vielleicht ist er in eine Kultur von Lebewesen geraten, die ganz anders reagieren als er. Und wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ muss er immer wieder diese Situation erleben, bis er begreift, dass Selbstliebe und Verbundenheit mit den Wesen, mit denen er zu tun hat, ihn daraus erlösen können. Er akzeptiert die Verletzung als Bestandteil seines Leben in dieser Kultur und ist sich gleichzeitig der Möglichkeiten bewusst, die sie ihm bietet.
Eigene Grenzen und Handlungsmöglichkeiten – akzeptieren was ist
Das Bild der Held:in zeigt mir meine Möglichkeiten. Es geht nicht darum, bestimmen zu wollen, was ich fühle. Es geht um Offenheit für meine Gefühle.
Aus der Positiven Psychologie wissen wir, dass es am besten für uns ist, wenn wir unsere gesamten Erfahrungen, einschließlich unserer Schmerzen, annehmen, anstatt dagegen zu kämpfen. (3) Dann können wir in der Gegenwart voll und ganz fühlen. Unsere Wahrnehmung öffnet sich. Und wir verfügen über einen reichen Schatz von Erinnerungen.

Wenn wir das, was ist, nicht akzeptieren, versinken wir möglicherweise stattdessen in einem negativen Geflecht von Gedanken über Vergangenheit und Zukunft.
Wenn wir ein Bein gebrochen haben und einen Gips tragen müssen, wird vom Ärger über diese Tatsache nichts besser. Hilfreicher ist die Überlegung, was man denn mit oder trotz Gipsbein machen kann.
Andere Meinungen akzeptieren
Manchmal habe ich den Eindruck, mein Gegenüber hat einen völlig falschen Eindruck von der Welt. Es wird mir widersprochen und ich denke bloß: was für einen Quatsch die da erzählen. Oft hilft es auch weiter, tatsächlich erst mal zuzuhören: Was genau denkt die andere Person? Worum geht es ihr? Was liegt ihrer Meinung zugrunde?
Geht es uns darum, die bessere Lösung zu finden? Oder wollen wir von unserer Meinung überzeugen? Viele Menschen neigen dazu, sehr schnell über etwas zu urteilen. Bevor sie ihr Gegenüber zu Ende angehört haben. Und dann steigt der Adrenalinpegel, weil die andere Person das einfach anders sieht und sich von meinen Argumenten nicht überzeugen lässt.
Wenn das eintritt, wissen wir jedenfalls schon mal, dass es uns nicht um Klärung, sondern um Rechthaben geht. Sowas kommt in den besten Familien vor. Ich darf mich auch an meine eigene Nase fassen. Streiten hilft nicht. Pausieren und Dampf ablassen ist besser.
Wenn es tatsächlich „um die Sache“ geht, sollte etwas anderes funktionieren: Zusammenhänge aufzeigen, argumentieren und diskutieren. Widerspruch ist zulässig. Andere Menschen können andere Blickwinkel auf die gleiche Sache haben. Wenn es gut geht, erweitert ihr zusammen euer Verständnis. Wenn ihr euch nicht einigen könnt, ist das eben eine Tatsache, die du akzeptieren solltest.
Akzeptieren, wenn jemand kein Interesse an mir hat
Etwas Schmerzliches, vor dem sich alle fürchten: das sich jemand nicht für mich interessiert, mit dem ich einen engeren Kontakt herstellen möchte. Unser Gehirn reagiert auf Zurückweisung ähnlich wie auf körperliche Schmerzen – und das sogar in Computerspielen mit Unbekannten.
Von Anfang an geht es in Beziehungen um ein Gleichgewicht des Interesses. Ich meine hier platonische Beziehungen, keine erotische Verführung. Wenn du dich enttäuscht fühlst, weil sich jemand nicht so für dich interessiert, wie du es gerne hättest, könnte es sein, dass es im Augenblick nicht die richtige Ansprechpartner:in ist. Auch wenn ihr euch sympathisch seid, ohne dass alle Beteiligten sich die Zeit für weitere Treffen nehmen wollen/können wird es nichts werden. Verbundenheit setzt voraus, dass wir akzeptieren, welchen Blick andere auf die gegenwärtige Situation haben.
Wenn eure Bedürfnisse zu unterschiedlich sind, hab Selbstmitgefühl mit dir und schau dich dann nach anderen Menschen um.
Dinge akzeptieren, wie sie sind
Zu den Schwierigkeiten beim Umgang mit den Gegebenheiten in der Mitwelt gehört auch die Entscheidung, wann wir uns aktiv für unsere Wünsche und Vorstellungen einsetzen sollten und wann das sinnlos ist.
Klar, wir können nur das ändern, was wir beeinflussen können. Und das ist sehr beschränkt.
Für mich ist der Klimawandel ein gutes Beispiel. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts höre und lese ich, dass wir als Gesellschaft jetzt aktiv werden müssten, weil jetzt die Kosten für die Energiewende noch nicht so hoch seien, wie spätere Schadenssummen. Diese, inzwischen rund 50 Jahre alte Erkenntnis hat nicht viel reales Handeln bewirkt. Aber immerhin etwas.
Ich selbst kann mein Verhalten in Verkehr und Konsum steuern. Auf die Politik der Bundesregierung habe ich nur einen sehr kleinen Einfluss. Das ist so. Wäre es anders, hätten wir eine Diktatur mit mir als Diktatorin. Akzeptieren was ist, heißt die Realität als Realität anzuerkennen und auf dieser Grundlage aktiv zu werden. Weil unsere Kontrolle über die Mitwelt immer beschränkt ist, ist das die effektivste Möglichkeit, etwas zu erreichen.
Wenn wir aufhören, uns gegen die Realität zu stemmen, können wir unsere Energie und Aufmerksamkeit auf das richten, was uns wichtig ist.

Quellen
(1) Steven Hayes: A Liberated Mind
(2) Thich Nhat Hanh: Versöhnung mit dem inneren Kind – Von der heilenden Kraft der Achtsamkeit (German Edition) O.W. Barth eBook. Kindle-Version.
(3) Brené Brown nennt das die Masken unserer seelischen Panzer (in: Verletzlichkeit macht stark, S. 124ff)
(4) Todd Kashdan/Robert Biswas Diener: The Upside of Your Dark Side: Why Being Your Whole Self – Not Just Your „Good“ Self – Drives Success and Fulfillment
Möchtest du dir klarer werden, was dir gerade schwer fällt zu akzeptieren? Was würdest du gerne in dein Leben bringen?