1. Warum wir uns einsam fühlen und wieso das wichtig ist
Es gibt kein äußeres Merkmal von Einsamkeit. Berühmte und anerkannte Menschen haben intensiv unter Einsamkeit gelitten, beispielsweise Janis Joplin, Marilyn Monroe, Diana, die Prinzessin von Wales. Wenn wir bemerken, dass wir nicht genug tiefe, erfüllende zwischenmenschliche Beziehungen haben, fühlen wir uns einsam.
Denn obwohl in unserer Kultur Individualismus und Unabhängigkeit propagiert wird – wir sind durch die evolutionäre Entwicklung unserer Art geprägt als Wesen, die nur in Gemeinsamkeit mit anderen überlebensfähig waren. Wir brauchen bedeutungsvolle menschliche Verbindungen. Der Schmerz, den wir ohne sie fühlen, charakterisiert uns als Menschen. Sich ab und zu einsam zu fühlen, heißt, dass wir Menschen sind.
Wenn wir uns abgelehnt fühlen, wird die gleiche Gehirnregion angesprochen (dorsaler anteriorer cingulärer Cortex), wie wenn wir körperlichen Schmerz erleben. Fehlen über lange Zeit starke soziale Beziehungen, schwächt das unsere Gesundheit. Einsamkeitsgefühle sind ein innerer Appell, die Verbindung mit anderen zu suchen.
Einsamkeit kann sich bei verschiedenen Menschen auf unterschiedliche Weise zeigen. Sie kann wie Reizbarkeit und Ärger, Müdigkeit, Zurückgezogenheit, Depressionen oder Angstzustände aussehen. Wir können die unguten Gefühle unter anderen Zuständen oder Sorgen verbuchen, aber viele dieser Zustände haben ihre Wurzeln (zumindest teilweise) in der Einsamkeit.
2. Was Menschen, die sich länger alleine fühlen, in immer stärkere Einsamkeit treibt
Menschen die sich kurzfristig alleine fühlen, rufen sie einen guten Freund an. Für einsame Menschen ist es viel schwerer, Kontakt aufzunehmen. Scham und Angst vor Zurückweisung blockieren und sie fürchten Ablehnung. Damit ist der Ausweg versperrt.
Einsame Menschen neigen zu negativer Selbstbeurteilung. Und sie bewerten andere Menschen härter und ablehnender. Dadurch schrecken sie andere ab, die sich ihnen zuwenden und isolieren sich noch mehr. Langfristig leidet ihr Selbstwertgefühl: ich fühle mich einsam, werfe mir vor, selbst schuld zu sein, und werte mich ab. Noch mehr Rückzug und Passivität sind die Folge.
Ähnliches passiert, wenn wir Menschen unser Herz ausschütten, mit denen wir (noch) nicht eine enge Beziehung haben. Anstatt uns Zuwendung und Verständnis zu geben, sind sie vielleicht überfordert und ziehen sich zurück.
Eine Negativspirale entsteht, die zu immer mehr Vereinsamung und oft zu Selbstmitleid führt.
3. Was Du über Verbundenheit wissen solltest
Kern: mit sich selbst befreundet sein
Wir können die Spirale des sich alleine Fühlens vermeiden, wenn wir uns selbst freundlich behandeln und nicht uns selbst abwerten. Bewertung und oftmals Abwertung von uns selbst schwächt uns und behindert positive Kontakte mit anderen Menschen.
Selbstmitgefühl bedeutet, mit sich selbst so zu sprechen, wie wir mit einem geliebten Menschen in einer ähnlichen Situation sprechen würden. Im Artikel Selbstmitgefühl – nicht nur erlaubt, sondern empfohlen habe ich das genauer beschrieben.

Herzensbeziehungen: Familie und beste Freunde
Mit unseren Liebsten verbringen wir gerne entspannt Zeit. Wir kümmern uns umeinander, sind für uns da. Sie schützen uns. Die Beziehungen innerhalb des Kreises sind bessere Prädiktoren für Gesundheit und Glück als IQ, Wohlstand oder soziale Klasse. Wir erhalten und erwarten hier Schutz und Unterstützung.
Diese Beziehungen sind normaler weise nicht frei von Konflikten. Enttäuschung und Zorn entstehen hier besonders häufig, weil wir sehr hohe Ansprüche an diese Menschen haben. Denn wir wollen hier ehrlich sein, um ganz wir selbst sein zu können. Manchmal fühlen wir uns auch in diesen Beziehungen allein, wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir sie uns vorgestellt haben.
Im inneren Kreis der Herzensbeziehungen, der selten mehr als fünf Personen umfasst, verbringen wir die meiste Zeit und setzen uns am meisten dafür ein. Auf der körperlichen Ebene festigen gegenseitige Berührungen diese Bindungen. Der dann ausgeschüttete Hormoncocktail trägt dazu bei, dass wir uns umsorgt und geschützt fühlen.
Um uns nicht allein zu fühlen, brauchen wir alle Kreise der Verbundenheit
Dieser Hormoncocktail wird bei Liebespaaren noch durch Sexualhormone angereichert. Das kann dazu führen, dass sie sich zu sehr aufeinander konzentrieren. Wenn ein Paar andere wichtige Freundschaften zu lange ausschließt, kann das die Nähe zu den Menschen in den anderen Kreisen der Verbundenheit deutlich verringern. In Krisenzeiten oder gar bei Trennung stehen die Beteiligten dann isoliert, einsam und ohne Herzensfreunde da, die sie jetzt dringend brauchen.
Gesunde intime Beziehungen profitieren von dem sozialen Polster, das die umgebenden Kreise bieten. Denn Trost, Ruhe und emotionale Energie, die wir aus allen unterstützenden Freundschaften gewinnen, unterstützen unseren seelischen Kern.

Gefährten und Kameraden – Verbindung durch gemeinsame Interessen
Wir brauchen auch Freunde aus dem mittleren Kreis, die einige unserer Interessen teilen. Denn nicht alle Bedürfnisse nach Gemeinsamkeit können mittelfristig im inneren Kreis erfüllt werden. Vielleicht kennen wir nicht die tiefsten Geheimnisse der Menschen aus dem mittleren Kreis, aber wir sind gerne mit ihnen zusammen, fühlen uns mit ihnen wohl.
Als Kinder finden wir solche Freunde oft schneller, als wenn wir erwachsen sind, vor allem, wenn wir unsere Heimatstadt verlassen haben sind wir öfters einsam. Wir haben als Erwachsene weniger Zeit. Trotzdem können wir, genau wie als Kinder, Freundschaften schließen, indem wir uns Gruppen anschließen: Vereine, Sportclubs, VHS-Gruppen, Kirchengemeinden, Lese- und Diskussionszirkel, ehrenamtliche Aktivitäten – die Möglichkeiten sind riesig.
Warum es gut für dich ist, wenn du etwas für Andere tust
Einsatz für andere ist ein starkes Gegenmittel gegen Einsamkeit. Wenn wir chronisch einsam sind, sind wir vor allem mit unseren Gedanken und Gefühlen beschäftigt. Unser Selbstbewusstsein schwindet langsam, wenn wir anfangen zu glauben, dass der Grund für unsere Einsamkeit darin liegt, dass wir nicht liebenswert sind.
Dieser schädliche Kreislauf wird durchbrochen, wenn wir uns für andere engagieren. Denn wir konzentrieren uns dann auf andere Menschen und nicht mehr vor allem auf uns selbst.
Der äußere Kreis: Kollegen und Bekannte
Im äußeren Kreis sind die Beziehungen nicht so eng und vertraulich. Ein einladendes Lächeln oder ein Zeichen der Anerkennung kann uns aber helfen, uns auf unaufdringliche, aber bedeutsame Weise bekannt zu fühlen. „Bekannte Menschen geben uns das Gefühl, willkommen zu sein. Sie helfen uns, uns an Ort und Stelle verwurzelt zu fühlen. Mit der Zeit können sie sich zu Freunden entwickeln.“(2) Wir fühlen uns weniger einsam.
Ein ehrliches Interesse für unser Gegenüber, dass sich auch in Nachfragen nach bereits erzählten persönlichen Hintergrundsgeschichten zeigt, ist unser Beitrag.
Auch am Arbeitsplatz werden die Beziehungen zwischen Kollegen durch kleine, spontane Verhaltensweisen gestärkt, wie z.B. wenn man jemandem, der spät arbeitet, eine Tasse Kaffee bringt.
Ein anderer Schlüssel zu einer tieferen Beziehung ist des Austausch von Hilfe. Und dazu gehört auch das Bitten um Hilfe. Das fällt vielen Menschen schwer, aber wenn es eine wohlüberlegte Anfrage ist, halten die Leute den Bittenden eher für kompetenter als für weniger kompetent.
Freundlichkeit zwischen Fremden

Manchmal gibt es auch Überraschungen: so empfinden extrovertierte und introvertierte Menschen Gespräche mit Fremden auf dem Weg zur Arbeit als angenehm – auch wenn sie selbst vorher dachten, dass sie keinen Kontakt möchten.
Studien zeigen, dass kurzzeitige Begegnungen mit ausgeprägter Freundlichkeit die Wahrscheinlichkeit steigern, dass Menschen mit anderen teilen und sich gegenseitig helfen. Das gilt auch dann, wenn wir uns nicht kennen.
Leider gilt das genauso umgekehrt: Unfreundlichkeit und emotionale Kälte führt auch im Verhalten von Fremden in eine Negativspirale. Wir sind uns dessen vielleicht nicht bewusst, weil erst andere Personen die Auswirkungen spüren. Gleichgültigkeit und Bereitschaft zu Aggressivität verringert unsere kollektive Verbindungsfähigkeit. Einsamkeit wird gestärkt.
Eine Kultur der Freundlichkeit
In unserer westlichen Kultur sind Unabhängigkeit und Individualismus wichtige Werte. Wir kommen alle historisch aus Gesellschaften, in denen unsere Zugehörigkeit zu anderen Menschen durch Geburt vorgegeben war und die Verhaltensregeln auch. Deshalb wirkte der Individualismus zunächst als Befreiung.
Heute liegt das Übergewicht eher auf der anderen Seite: die Überbetonung von Eigenständigkeit und Autonomie bedroht den Sinn für Gemeinsamkeit. Das hat Konsequenzen für die Fähigkeiten einer Gesellschaft, große Herausforderungen gemeinschaftlich zu bewältigen, in Respekt für die Verschiedenartigkeit der Menschen.
Jede*r einzelne von uns kann durch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ein wenig dazu beitragen, dass es in seinem Umfeld der Sinn für Zusammenhalt gestärkt wird und das Fremde das spüren und daran teilhaben können. Das fühlt sich ein bisschen wärmer und weniger einsam an. Damit unterstützen wir ein Zusammenleben, das die große Herausforderungen gemeinschaftlich bewältigen kann.
Mir liegt dieses Thema gerade besonders am Herzen, weil sich immer mehr Menschen einsam fühlen. Deshalb habe ich einen Online-Kurs entwickelt. Er unterstützt dich dabei, aus der Einsamkeit herauszufinden und offener auf andere zuzugehen, mehr Lebensfreude zu spüren und die Grundlage für vertrauensvolle Freundschaften zu legen.
Falls du Vorschläge hast oder Fragen, nutze die Kommentare oder sprich mich an.
Ich freue mich auf dich!
Email: ruth@zufriedenleben.eu
Quellen
Cacioppo, John T.: Loneliness: Human Nature and the Need for Social Connection . W. W. Norton & Company. Kindle-Version
Vivek H. Murthy: Together – Loneliness, Health and What Happens When We Find Connection, London, 2020
Jill Suttie: How Loneliness Hurts Us and What to Do About It,| in: Greater Good Magazine, 14. Mai 2020
Julianne Holt-Lunstad, Timothy B. Smith, J. Bradley Layton: Social Relationships and Mortality Risk: A Meta-analytic ReviewPublished: PLOS Medicine July 27, 2010 , https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1000316
https://www.psychologytoday.com/intl/blog/connections/200812/easing-your-way-out-loneliness
Vielen Dank für diesen Beitrag. Er hat mir einige Antworten auf bis dahin unbewusste Fragen gegeben.
Wunderbar. Das freut mich sehr.