Aktualisiert am 27. Mai 2024

Vertrauen ist eine magische Zutat, die unsere Beziehungen zu anderen Menschen, Gruppen und Institutionen prägt.

Artikel zum Hören

Es ist ein unsichtbarer Kitt, der die Grundlage für Zusammenarbeit, Unterstützung und Wachstum bildet. Doch was ist Vertrauen eigentlich? Wie entsteht es? Und wie beeinflusst es unsere Gesellschaft?

Wie entsteht Vertrauen in Beziehungen?

Vertrauen ist das Herzstück jeder guten Beziehung. Es baut sich langsam auf, abhängig von der Stärke der Bindung und der zwischenmenschlichen Nähe. Es basiert auf

  • der Erwartung, dass das Verhalten der anderen Person das eigene oder das Wohlergehen der eigenen Gruppe berücksichtigt
  • der Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen, und
  • der Übertragung von Kontrolle an die andere Person oder Organisation.

Eine enge Verbindung führt zu höheren Erwartungen an Unterstützung, und wenn diese erfüllt werden, entsteht Dankbarkeit. Vertrauensvolle Beziehungen sind nicht nur schön, sondern auch essenziell für unsere Gesundheit.

Regeln für Vertrauen in engen Beziehungen:

  • Einstehen für den nahestehenden Menschen in dessen/deren Abwesenheit
  • Mitteilen wichtiger Neuigkeiten
  • emotionale Unterstützung geben, wenn die nahestehende Person es braucht
  • Hilfe anzubieten, wenn sie benötigt wird
  • sich zu bemühen, dass der nahestehende Mensch sich wohlfühlt

Werden diese Regeln gebrochen, schwächt das die Beziehung, kann aber verziehen werden.

Vertrauen und Wahrheit

Das Vertrauen, das wir einer Person entgegenbringen, beeinflusst unsere Einschätzung, ob sie die Wahrheit sagt oder nicht. Es ist sehr schwer zu beurteilen, ob eine Geschichte stimmt oder nicht, wenn man die erzählende Person nicht kennt.

In der heutigen Zeit, in der Glaubwürdigkeit oft wichtiger ist als Wahrheit, geht es weniger um „wahr vs. falsch“ als um „glaubwürdig vs. unglaubwürdig“. „Wahrheit“ ist dann oft das, worauf sich viele Menschen einigen können. Eine wertvolle Orientierung bietet ergänzend wissenschaftliche Theorienbildung, die Falsifizierbarkeit als Grundprinzip hat.

Vertrauen in Gruppen

Menschen engagieren sich in Gruppen, wenn sie das Gefühl haben dazuzugehören, die Gruppenmitglieder sich umeinander kümmern, wenn es nötig ist und es eine gemeinsame Geschichte oder ähnliche Erfahrungen gibt.

Vertrauen in das besondere Wissen oder Können Einzelner führt zu Status in einer Gruppe.

Was vertrauensvolle und erfolgreiche Gruppen auszeichnet

Eine Balance zwischen dem persönlichen Interesse der einzelnen Mitglieder und den umfassenderen gemeinsamen Gruppenbedürfnissen ist eine wichtige Grundlage für ein dauerhaft vertrauensvolles Zusammenleben in Gruppen. Langfristig sind Gruppen erfolgreich, wenn sie die zugehörigen Menschen im Rahmen gemeinschaftlicher Ziele stärken. Dauerhafte Beziehungen haben Vorrang vor einzelnen Aktivitäten.

Zur Überlebensfähigkeit der Gruppen trägt bei , dass sie die Einzigartigkeit der Gruppenmitglieder, vielfältige kulturelle Praktiken, spezifische lokale Gegebenheiten, Geschichten und Erzählungen bewahren und weitergeben. Außerdem gibt es eine Verbindung zwischen diesen Gruppen und anderen Gruppen, die ebenfalls durch die Wertschätzung von Einzigartigkeit geprägt ist.

Wirkungen von Gruppenprozessen

Gruppen können das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung und das eigene Denken stark beeinflussen. Das geht soweit, dass Menschen ihrer eigenen Wahrnehmung mißtrauen, weil die anderen sie nicht teilen. Wenn es in der Gruppe eine feststehend Meinung zu etwas gibt, die nicht infrage gestellt werden kann, gibt das den Gruppenmitgliedern Sicherheit.

Ausschliessliches Vertrauen gegenüber den Angehörigen der eigenen Gruppe führt das zur Diskriminierung anderer Menschen und Gruppen. Im Gegensatz dazu führt ein Selbstverständnis als Weltbürger:in zu mehr Vertrauen und nachhaltigerem Verhalten.

Das Vertrauen und die Gemeinschaft innerhalb einer Gruppe steht oft der Kooperation mit einer nächsthöheren Hierarchieebene im Wege. Die Gruppen müssen deshalb das Wohlergehen der Gesamtheit im Auge haben.

Im Gegensatz dazu führt ein Selbstverständnis als Weltbürger:in zu mehr Vertrauen und nachhaltigerem Verhalten.

Vertrauen durch Erschaffen gemeinsamer Werte: Ein kleiner Baum wird von drei Menschen gehalten

Wir brauchen Vertrauen, dass unsere Mitmenschen ähnliche Werte haben und dass die Regeln und Rechte, die sich daraus ableiten, für alle gleichermaßen gelten, um uns für eine umfassendere Gemeinschaft zu engagieren.

Gruppen brauchen die Möglichkeit und die entsprechenden Rahmenbedingungen, sich selbst zu verwalten und mit anderen Gruppen zu kooperieren.(3)

Vertrauen in Institutionen

Vertrauen in Institutionen hängt ab von der Wahrnehmung ihrer politischen Neutralität. Polizei, Gerichte und öffentlicher Dienst müssen jede:r Bürger:in unparteiisch gleichbehandeln. Deshalb müssen besonders gefährdete Gesellschaftsgruppen in Krisen besonders unterstützt werden.

Am meisten vertrauen die Menschen in Deutschland Ärzt:innen, gefolgt von der Wissenschaft mit 61%. Den Medien wird weniger vertraut. Die Länder mit relativ hohem Vertrauen in die öffentlichen Institutionen und geringer Ungleichheit hatten während der Corona-Pandemie von 2020 und 2021 weniger Todesopfer.

Vertrauen in die Politik

Menschen haben Vertrauen in die Politik, wenn sie annehmen, dass Politiker:innen in ihren Entscheidungen die faktischen Interessen der Bevölkerung berücksichtigen.

Tatsächlich empfindet laut einer Umfrage von 2022 der größte Teil der Bevölkerung (74%) die deutsche Gesellschaft als eher ungerecht. Dabei ist die Aufrechterhaltung der sozialen Gerechtigkeit für 63% der Bevölkerung die wichtigste Aufgabe des Staates.

Sehr häufig ist der Eindruck, dass Lobbyismus überhandnimmt, Wohlhabende und Einflussreiche bei Themen wie dem Klimaschutz nicht ihren angemessenen Beitrag leisten müssen. Die Frage, warum „ich etwas aufgeben/zahlen/leisten soll, solange XY weitermacht wie bisher…“ ist wohl mit die explosivste der Nachhaltigkeitsdebatte.

Korruption schürt Misstrauen gegenüber Politik und Verwaltung, denn es geht dabei darum, ein öffentliches Amt, eine Wirtschaftsfunktion oder ein politisches Mandat genutzt wird, um persönliche Vorteile für sich, seine Familien und Freunde zu erlangen.

Gerechtigkeit ist im Kontext Umwelt- und Klimaschutz die wichtigste Forderung der Gesellschaft an die Politik. Die Teilnahme an direktdemokratischen Prozessen ist eher Vertrauen erweckend. Wichtig dafür ist, dass sie auf die Beseitigung von Ungleichheit und die Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation von Bevölkerungsgruppen abzielen.

Vertrauen in der Gesellschaft aufbauen, das den Schutz der Mitwelt fördert

Wenn sich Menschen gehört fühlen, entsteht Vertrauen. Dazu gehört das Verständnis, dass wir alle aufeinander angewiesen sind und jede:r Einzelne gebraucht wird mit ihren individuellen Stärken und Fähigkeiten.

Erfahrung, dass das persönliche oder das Wohlergehen der eigenen Gruppe berücksichtigt wird

Schon 2011 empfahl der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung die erweiterte Teilhabe der Bürger:innen. Denn Entscheidungen werden eher mitgetragen, wenn die Bürger daran beteiligt wurden. Bisher laufen viele Veränderungsansätze eher von oben nach unten, von Regierungsebenen zu den Bürgern. Ein Ansatz vor Ort (bottom-up) geht von den Gemeinden und Städten aus.

Vertrauen in die Mitwelt und die Bereitschaft, sich für Klimaschutz zu engagieren, steigt, wenn wir wissen, dass sich viele andere Menschen ebenfalls für den Klimaschutz engagieren. Derzeit unterschätzen aber die meisten Menschen entsprechende Absichten und Handlungsweisen in ihrer Mitwelt.

Gerechtigkeit

Damit Beteiligungsverfahren als gerecht wahrgenommen werden, sind Vertrauen in die Neutralität und die Motive der Entscheidungsträger:innen wichtige Kriterien.

Ein Gerechtigkeitsempfinden in der Gesellschaft entsteht, wenn wir von allen Engagement entsprechend ihren Möglichkeiten einfordern. Dafür müssten die reichsten 10% der Menschheit mehr Geld abgeben. Das sind Menschen mit einem Netto-Eigentum von über einer Million Euro.

Gesellschaftliche Verantwortung sollte vor allem denjenigen mit der größten Handlungsfreiheit zugeschrieben werden. Damit ist gemeint, dass sie unterschiedliche Entscheidungen mit hoher Auswirkung treffen. Dazu gehören primär die Politik und die Unternehmen, mit z.B. gesetzlich verankerten ökologischen und sozialen Mindeststandards.

Risikobereitschaft und Verletzlichkeit

Veränderungsideen müssen attraktiv sein, um Menschen zum Schritt ins Ungewisse zu ermutigen. Denn jede Handlung birgt Risiken.

Die Vision einer gerechten, regenerativen Welt sollte deutlich sichtbar sein. Gleichzeitig müssen sich die Betreiber der Veränderung der Realität stellen. Fehler sind normaler Bestandteil von neuen, also noch nicht beherrschten, Prozessen. Wir müssen Fehler machen, um als Akteure und als Gesellschaft daraus zu lernen.

Deshalb muss die Botschaft der wichtigsten Akteure von Veränderung verdeutlichen, dass der Prozess hin zu einer guten, nachhaltigen Gesellschaft hochkomplex ist und wir deshalb auf dem Weg notwendigerweise Fehler machen werden. Es gibt keine einfachen Lösungen, die alles glattziehen!

Verständlichkeit der Veränderungsprozesse

Damit Einzelschritte einem Klima des Vertrauens gegangen werden können, sollten konkrete Verbesserungen angesprochen werden. Die Grundsätze, die Eleonor Ostrom für erfolgreiches Management von Gemeingütern beschrieben hat, könnten zur Blaupause für Organisations- und Verwaltungsprozesse werden:

  1. Menschen mit ihren Werten akzeptieren und wertschätzen, nicht in ihrem Selbstbild bedrängen
  2. Über unsere gegenseitige Angewiesenheit und Verbundenheit sprechen.
  3. unsere Organisationsstrukturen in Richtung der Zentralen Gestaltungsprinzipien umbauen (mehr dazu im nächsten Blogpost)
  4. Beitragsgerechtigkeit entsprechend den individuellen Möglichkeiten einführen und sichtbar machen
  5. Verantwortungszuschreibung entsprechend der Handlungsfreiheit der Akteure vornehmen

Zusammenfassung

Vertrauen schenken wir mit der Erwartung, dass das Gegenüber die eigene Person und ihre Bedürfnisse respektiert. Die Bereitschaft, Risiken einzugehen in einer Situation, die ich selbst nicht mehr in der Hand habe, werden auf dieser Basis möglich.
Diese drei Eigenschaften der Beziehung charakterisieren vertrauensvolle Beziehungen zwischen Menschen und Menschen oder größeren Gruppen oder Organisationen.

Vertrauensvolle Beziehungen entstehen durch <br>Erwartung: das eigene oder das Wohlergehen der eigenen Gruppe wird berücksichtigt<br>Verletzlichkeit: Bereitschaft, ein Risiko einzugehen und verletzlich zu sein<br>Abgabe von Kontrolle: Kontrolle wir an eine ander Person, Gruppe oder Organisation abgegeben.

Für gesellschaftliche Kooperation ist Vertrauen abhängig von der wahrgenommenen Gerechtigkeit in der Bevölkerung, dem kulturell vermittelten Selbstbild und den Beteiligungsmöglichkeiten an Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Menschen haben.

Beginnen wir also heute damit, die Geschichte zu erzählen,
wie wir uns dieser scheinbar unüberwindbaren Herausforderung stellten,
wie wir uns von den vielen Rückschlägen, die wir hinnehmen mussten, nicht entmutigen ließen.
Erzählen wir die Geschichte,
wie wir an der Schwelle zur Katastrophe beschlossen, unsere Verantwortung ernst zu nehmen, alles Notwendige unternahmen, um diese Krise zu überstehen,
und gleichzeitig unser Verhältnis zueinander
und zu sämtlichen natürlichen Systemen auf der Erde,
die menschliches Leben erst ermöglichen,
neu gestalteten.
Erzählen wir die Geschichte eines großen Abenteuers, das wir allen noch so großen Widrigkeiten zum Trotz bestanden haben.
Die Geschichte unseres Überlebens.
Und eines blühenden Daseins.

Christiana Figueres, Tom Rivet–Carnac 2021

Quellen